Aus Alt mach Neu
Höher, schneller, weiter. Was uns nicht nur Social Media, sondern auch unser Lebensrhythmus als vermeintliches Ideal vorschreibt, schlaucht ganz schön. In den kurzen Pausen des hektischen Alltags geht es dann also in die Berge, an malerische und eher traditionelle Orte. Hin zur Ursprünglichkeit. Auf der Suche nach dem Echten und Alteingesessenen. Je uriger, desto besser.
Wie also lässt sich das, wonach der Mensch zu streben scheint, in den Alltag integrieren? Die Architektur hat da ihren ganz eigenen Weg gefunden. Anstatt Altes dem Boden gleichzumachen, kommt extreme Wertschätzung dem Bestandsbau zu. Sanft wird versucht, das bestehende Gebäude zu modernisieren und ihm etwas „Heute“ einzuhauchen. Architektin Matylda Gosciniak von KUP Arch in Brixen sieht sich und ihre Kollegenschaft klar in der Verantwortung, der Geschichte Respekt zu zollen. Im Interview erklärt sie, warum sich dabei alles um den Genius Loci dreht.
Gibt es eine Art Ehrenkodex, um Altes zu erhalten?
Architekten gehören zu den freien Berufen, welche einem besonderen Berufsethos verpflichtet sind. Wir vertreten nicht nur die Interessen unserer Kunden, sondern zugleich auch die Interessen unserer Gesellschaft. In anderen Sprachräumen werden diese Berufe als Berufe des öffentlichen Vertrauens bezeichnet. Dies impliziert das verantwortliche Handeln im Interesse unserer Gesellschaft und bildet eine Grundlage für unser Handeln. Oft sind es Architekten, die sich weltweit innerhalb lokaler Initiativen für den Erhalt besonderer Kulturdenkmale einsetzen. Die Aktionen sind nicht immer erfolgreich, aber sie sind sehr wichtig, um den öffentlichen Diskurs auf dieses Thema zu lenken. Denn allein dass in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, was erhaltenswert ist, ist ein grundlegender Schritt.
Wenn ein Neubau geplant wird, wie lässt er sich in die bestehende Umgebung eingliedern, ohne sie außer Acht zu lassen?
Wir beginnen unsere Arbeit immer mit der Analyse des Ortes. Wir versuchen die urbanistische und landschaftliche Situation zu verstehen und als Planer diesen Genius Loci – den Geist eines Ortes – zu begreifen. Gute Architektur reagiert auf ihre Umgebung, interagiert mit ihr und übernimmt die Gestaltung der Elemente, welche vor Ort genau ebendiesen besonderen Geist ausmachen. Das kann ein Zitat sein wie das Verwenden einer besonderen Farbe oder eines besonderen Materials (Beispiel Saxerhof in Sterzing). Es kann aber auch eine Neuinterpretation davon sein, was wir vor Ort vorgefunden haben (wie beim Baderhaus oder der Apotheke in Sterzing).
Braucht es einen krassen Gegensatz oder sind es einzelne Elemente, die dazu führen, dass das Neue nicht wie ein Fremdkörper wirkt?
Es gibt viele Wege für den Umgang mit dem Bestand, und es gibt kein einfaches Rezept, welches per se immer funktioniert. Unser Büro zum Beispiel hat schon sehr verschiedene Ideen dazu verfolgt. Bei der Sanierung des Vidums auf dem Domplatz in Brixen haben wir mit starken Kontrasten gearbeitet und ins historische Ambiente moderne und minimalistische Glastrennwände eingebaut. Bei einem anderen Projekt wiederum haben wir versucht, die bestehende Substanz zu erhalten und weiterzubauen, um eine Einheit zu schaffen.
Man kann den Bestand auch assimilieren und dabei die Substanz erhalten, aber dem gesamten Gebäude ein neues Kleid, ein neues Design und Erscheinungsbild geben wie etwa in der Apotheke in Sterzing. Es ist oft eine schwierige Aufgabe, aber mit langfristigem Potenzial.
Was hat der Aspekt Nachhaltigkeit mit dem Erhalt alter Strukturen zu tun?
Das hat zum einen mit unserem Berufsstand, aber auch mit den drei Grundsäulen der Nachhaltigkeit zu tun: Ökonomie, Ökologie und Soziales. Alle am Bau und Planungsprozess beteiligten Parteien müssen sich heute folgende Fragen stellen: Ist es nachhaltig und wirtschaftlich, schon verbaute Ressourcen zu vernichten? Kann ich sie wieder nutzen und gibt es eine soziale Bedeutung? Kann ich unseren CO2-Abdruck minimieren durch Integration oder Umnutzung von Bestandsbauten?
Werden heutige Neubauten jemals so viel Charme haben wie Gebäude, die heute als alt gelten?
Als Architekten sehen wir die Schönheit auch in Architekturstilen wie Brutalismus, Rationalismus oder auch Mid-Century-Bauten, welche peu à peu zum Mainstream-Geschmack werden. Diesen Trend kann man zum Beispiel bei Bauten von Othmar Bart in Südtirol, welche langsam wieder Zuspruch finden, beobachten. Grundsätzlich hat Architektur, welche die Menschen in den Fokus rückt, gute Chancen für gesellschaftliche Akzeptanz auch in der Zukunft.
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