Das Verletzungsrisiko bei Motorradunfällen ist hoch. Sich blitzschnell aufpustende Kleidung soll die Folgen abmildern. Worauf bei der Anschaffung zu achten ist.
Kein schützendes Blech rundherum, keine Airbags im Lenkrad: Motorradfahrer bewegen sich auf ihren Maschinen ohne passive Sicherheitssysteme, zu denen im Auto zum Beispiel auch Gurtstraffer zählen. Ihr einziger Schutz: Helm und Sicherheitsbekleidung. Knautschzone? Fehlanzeige.
Airbags in Motorrädern sind bislang die absolute Ausnahme: Bis auf Honda für seine Goldwing bietet sie kein Hersteller an. Bald immerhin könnte Piaggio folgen. Der Roller-Produzent entwickelt zusammen mit Autoliv, Hersteller automobiler Sicherheitssysteme, derzeit eine Airbag-Lösung.
Wer als Biker bei Unfällen ansonsten mit einem aufploppenden Luftsack geschützt sein möchte, kann nur auf spezielle Airbag-Kleidung zurückgreifen. Ruprecht Müller vom ADAC-Technikzentrum in Landsberg am Lech hält diese grundsätzlich für sinnvoll: „Bei den Zusammenstößen schützen Airbag-Jacken oder Airbag-Westen den Fahrer vor allem im Brust- und Rückenbereich und bieten daher ein großes Schutzpotenzial.“
Auch Mona Pekarek, Redakteurin bei der Fachzeitschrift „Motorrad“, betont die Vorteile gegenüber konventionellen Protektoren in althergebrachter Motorradkluft. Vor allem der Schutzbereich am Rumpf sei größer als bei den üblichen Motorradkombis.
Technologie mittlerweile ausgereift
Wer sich entschließt, eine Airbag-Weste oder -jacke zu kaufen, sollte die hohen Anschaffungskosten nicht scheuen – denn der Griff zu neuesten und damit meist teuren Produkten ist ratsam. Ältere Modelle lösen über eine Reißleine aus, die den Fahrer mit dem Motorrad verbindet. „Diese Technik ist ein Anachronismus, die Reaktionszeit bei vielen Interaktionen zu langsam“, sagt Müller. Außerdem müsse der Fahrer immer daran denken, die Reißleine am Fahrzeug zu befestigen.
Laut Auskunft von Matthias Haasper vom Institut für Zweiradsicherheit (ifz) in Essen sind viele Airbag-Systeme mittlerweile aber ausgereift. Hersteller wie Alpinestars, Dainese oder Helite bieten Produkte zum Drüber- oder Drunterziehen an. Unterschiede gibt es bei der Anzahl der Kammern, den zu schützenden Bereichen und der Art der Auslösung.
Systeme der neuen Generation blasen sich elektronisch gesteuert auf. Besonders schnell arbeiten Systeme, die mittels Sensorik an der Gabel bereits beim ersten Anstoß des Vorderrades die hohen Beschleunigungen erkennen und bei einem Sturz oder Anprall den Airbag frühzeitig antriggern, sagt Ruprecht Müller. Von Vorteil ist auch, wenn die Technik die Art des Unfalls erkennt – zum Beispiel seitliches Wegrutschen.
Auch Airbag-Kleidung muss richtig sitzen
Westen und Jacken umhüllen den Oberkörper – bei Hosen mit integrierten Airbags, die nicht unbedingt vor lebensbedrohlichen Verletzungen schützen, gehen die Expertenmeinungen auseinander. ADAC-Mitarbeiter Müller ist skeptisch, da sie mehr wiegen als herkömmliche Motorradhosen, schlecht belüftet sind und den Tragekomfort einschränken.
Weil sie zugleich aber Schutz für Becken, Hüfte und Oberschenkel bieten – Bereiche, die bei Unfällen häufig betroffen seien – hält ifz-Mitarbeiter Haasper sie unter dem Strich dennoch für sinnvoll.
Wer sich für eine Anschaffung entscheidet, kann abwägen: Eine Weste lässt sich mit der eigenen Motorradkleidung kombinieren und ist vergleichsweise günstig. Steht aber ohnehin eine neue Kombi oder Jacke auf dem Einkaufszettel, „dann empfiehlt sich ein integriertes Airbag-System“, sagt Matthias Haasper.
So oder so – wichtig ist, dass Jacke oder Weste den eigenen Komfortansprüchen genügen. „Nur, wenn die Jacke oder Weste bequem ist, tragen Motorradfahrer sie gerne und immer“, sagt Müller. Die Experten raten zur Anprobe im Fachhandel und zur Probefahrt, um herauszufinden, ob alles sitzt und passt.
Funktionsweise im Fachhandel erklären lassen
Fällt die Wahl auf eine Weste, sei es auch Geschmackssache, ob diese unter oder über der Motorradjacke getragen werde, sagt Matthias Haasper. Doch wird sie untergezogen, wird ein Spielraum von 4 bis 5 Zentimeter benötigt, damit sich der Luftsack im Falle eines Sturzes korrekt aufblasen kann. Bei einer gut sitzenden Lederkombi ist oft jedoch kein Raum für eine Unterziehweste.
Um Bedienfehler zu vermeiden und damit die Schutzwirkung zu riskieren, sei ebenfalls wichtig, dass Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer die elektronischen Systeme verstehen, so Müller. Wie wird das System aktiviert? Wie lässt sich eine Funktionskontrolle durchführen?
Allein wegen solcher Fragen empfiehlt auch Mona Pekarek den Fachhandel vor Ort: „Die Mitarbeiter sind auf die Systeme geschult und können die Handhabung genau erklären.“ So lassen sich die meisten Westen nach einer Auslösung des Airbags wiederinstandsetzen. Ist der Luftsack noch in Ordnung, reicht eine neue Auslösepatrone, um den Airbag zu reaktivieren. Gaskartuschen können entweder vom Besitzer oder im Fachhandel ausgewechselt werden.
Teuer und wartungsintensiv
Nach einem schweren Unfall überlässt man die Funktionskontrolle aber am besten Profis. Die Airbag-Kleidung sollte dann zum Händler oder an den Hersteller geschickt werden, empfiehlt Matthias Haasper. Abhängig von Technik und Hersteller müssen die tragbaren Airbagsysteme zudem alle zwei bis drei Jahre zur Wartung geschickt werden.
Das ist etwas umständlich, und auch die Preise von Airbag-Kleidung erscheinen als Hürde: Aktuelle Westen fangen bei rund 300 Euro an, Airbag-Jacken und -hosen kosten ab rund 500 Euro aufwärts. Doch auf der anderen Seite können die Luftpolster Leben retten. (dpa/tmn)
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